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Oben bleiben!

von Carsten Golbeck
Ein Projekt von dein.humor.braucht.dich

1D

UA: 17.09.2013, Kammerspiele, Hamburg

Die Hinterbühne eines Theaters, das Bühnenbild wird soeben aufgebaut, Vera Landis, erprobte TV–Serienaktrice und knapp 50, steht kurz vor der Premiere zu "Die Überlebende der Titanic". Noch fehlen Garderobe, Maske, Requisiten und nicht zuletzt Spielpartner und Ex-Ehemann Tom. Doch Tom geht nicht ans Telefon, Veras Aufregung ist groß, der iPhone-Akku schwindet, Freunde sagen ab, die Beruhigungspillen gehen aus und hinter der Hinterbühne sitzt auch noch Publikum, 90 Minuten zu früh und auf der "falschen" Seite, wie Vera bemerkt.

Angesichts der Zuschauer kommt Vera nicht umhin, Bilanz zu ziehen: "Meinen Sie, nur weil ich immer glücklich bin, geht es mir gut?". Die 80er, das Gefühl von Aufbruch, Sex, eine Hauptrolle – Vera muss damit fertig werden "alles gehabt zu haben". Doch der Wermutstropfen über die ausgebliebene Theaterkarriere ist ein böses Gift gegen ihraufpoliertes Selbstbildnis. Just vor der eigentlichen Premiere von "Die Überlebende der Titanic" am 9. November 1989 verschwand Regisseur Georg mit dem dramatischen Stoff nach Hollywood. Vera blieb, ihres Liebsten, den gemeinsamen Revolutionsgedanken und ihrer Rolle beraubt, zurück. Trost spendete Tom, der, wenn auch ohne Umsturzpotential, als Mann einigermaßen taugte. Gemeinsam spielte man im TV, für die legendäre Rolle als Schiffsärztin Dr. Gisela Sunshine in "Im weißen Kittel durchs blaue Meer" gab es Preise und Homestories. Unerschütterlich ihr Ziel verfolgend, "bis zum Ende mitzuspielen", lautete ihr Credo stets: "Ich werde aufblühen und oben bleiben", auch wenn der ganze kapitalistische Dampfer sinken sollte.

Oben bleiben! ist ein fulminanter Monolog auf dem Grat zwischen den sorgfältig gehegten Illusionen des eigenen Erfolgs und der harten Realität, die in das weichgezeichnete Poesiealbum der Erinnerungen erbarmungslos einbricht. Das Altern im "Stopp and go"- Modus erschwert das Schauspielerleben in einer Gesellschaft, die lieber Messies beim Häuser renovieren im Ausland zuschaut, als Qualitätskünstlern. Es bleibt nicht anderes übrig als der permanenten Ersetzbarkeit in der Wegwerfgesellschaft standzuhalten.

Das Stück beschreibt zugleich den Zustand einer Gesellschaft, die sich zunehmend gegen sich selbst richtet. Vera Landis spricht stellvertretend für die Generation, die noch alles hatte und jetzt merkt, dass das System, das sie selbst gefüttert hat, beginnt, sie aufzufressen. Der Untergang der Titanic steht als Hintergrund für ein sich gegen den Menschen richtendes Gesellschaftssystem, vor dem eine Frau um ihre Würde, ihren Platz und eine Perspektive kämpft.