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Achterloo

von Friedrich Dürrenmatt
Komödie in zwei Akten

1D, 15H

UA: 06.10.1983, Schauspielhaus, Zürich

Achterloo, Dürrenmatts letztes dramatisches Werk, nannte er selbst einen Versuch, ein Fazit aus seiner Theaterarbeit zu ziehen, eine Art "Endspiel seiner Dramaturgie". Dafür verwendet Dürrenmatt seine Grundmetapher aus Die Physiker: die Welt als Irrenhaus. Schauplatz ist sodann ein Irrenhaus namens "Achterloo", "irgendwo bei Waterloo", dessen Insassen ein Rollentherapiestück spielen. Als historischen Hintergrund dafür setzt Dürrenmatt die Verhängung des Kriegsrechts durch Staatschef General Jaruzelski 1981 in Polen. Jaruzelski wollte damit den wachsenden Einfluss der Gewerkschaft Solidarność und deren geplante Massendemonstration verhindern wollte. "Jede Figur von heute hat ihre Entsprechung in der Geschichte", lautet Dürrematts These bei diesem Werk, als Jaruzelski tritt Napoleon auf, Arbeiterführer ist der Ketzer Jan Hus, der Napoleon-Jaruzelski dann zur Verhängung des Kriegsrechts zwingt. Als amerikanischer Gesandter erscheint Benjamin Franklin und Robespierre fungiert als sowjetischer Chefideologe auf Erkundungsbesuch. Letzterer erliegt allerdings einem Herzinfarkt, bevor er den sowjetischen Einmarsch anordnen kann. Karl Marx, in der Rolle des Kreml-Chefs, trifft es am Schlimmsten, er tritt in Mehrfachgestalt auf, wird von Marx 2 als "Spinner" geschimpft und von Marx 3 noch nicht mal gegrüßt, was ihn schlussfolgern lässt, er sei nicht spielbar. Seine Selbstdiagnose lautet: "haarsträubende Identitätskrise".

Dass das ganze Spektakel eine Rollenspieltherapie ist, erfährt der Zuschauer erst zum Schluss, wenn sich zwei der Mitwirkenden als Ärzte zu erkennen geben. Fundiertes geschichtliches Hintergrundwissen ist zum Verständnis der labyrinthischen Verwirrungen jedenfalls von Nöten, merkte Dürrenmatts zweite Ehefrau Charlotte Kerr an, gemeinsam mit ihr arbeitete Dürrenmatt das Stück in weitere Versionen um.

In Achterloo wird Ungleichzeitiges zu Gleichzeitigem, unaufhörlich wird zwischen Zeiten und Räumen umhergesprungen und die Bühne wird zum Schauplatz des assoziierenden Bewusstseins des Autors, ein Bruch mit jeglichen Theaterkonventionen. Doch nicht mit Dürrenmatts eigenen, denn indem er die Verrätselung der Welt auf die Spitze treibt, realisiert er auch hier seinen emanzipatorischen Anspruch, gesellschaftliche Prozesse durch groteske Verfremdung aufzudecken.