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"Schau, der Mau!" von Sergej Gößner - UA am Landestheater Schwaben
Am 27. März war die Uraufführung von Schau, der Mau! von Sergej Gößner am...

Uraufführung "Feengeflunker" von Paul Graham Brown in Neuseeland
Am 10. April 2024 ist die Uraufführung des Musicals Feengeflunker von Paul...

Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024
Die Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024 sind...

"Paranoia mit Slapstick" - "Cluedo" an der Komödie am Kurfürstendamm
Am 17. März war die deutschsprachige Erstaufführung der Krimi-Komödie Cluedo...

Felicia Zeller bei den Mülheimer Theatertagen
Das Stück Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt von Felicia Zeller...

"Kafkaesk wie eine Schnecke mit zerbrochenem Haus" - "Mieter" am Theaterhaus G7 in Mannheim
Am 07.03. hatte Mieter von Paco Gámez Premiere am Theaterhaus TIG7 in...

Premiere von "Tewje" an der Nationaloper Bukarest
Am 21.03. hat Olivier Truans Ballett Tewje Premiere an der Nationaloper...

UA: "La Grande Dame" von Olivier Garofalo am RLT Neuss
Am 16. März ist die Uraufführung von La Grande Dame am Rheinischen...

"Im weißen Rössl" am Staatstheater Darmstadt
Ab dem 15.03. ist Ralph Benatzky's unterhaltsames Singspiel Im weißen Rössl...

Drei Uraufführungen von Thomas Arzt
In den letzten Wochen wurden drei Stücke von Thomas Arzt uraufgeführt. Am...

Premiere: "La Cage aux Folles" an den Bühnen Bern
Am 09.03. ist die Premiere von La Cage aux Folles in der Regie von Axel...

Premiere: "Wie werde ich reich und glücklich?" am Theater Heilbronn
Am 09.03. feiert Wie werde ich reich und glücklich? von Mischa Spoliansky und...

Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg 2024
Der mit 15.000 Euro dotierte Jugendtheaterpreis des Ministeriums für...

Schauspiel: Monologe am Puls der Zeit
Mit klein besetzten Stücken lässt sich schnell und flexibel auf aktuell...

Nominiert für den Heidelberger Stückemarkt 2024: Arad Dabiri mit "DRUCK!"
Arad Dabiri ist mit seinem Stück DRUCK! für den Autor:innenpreis des...

UA: "Die Königinnen" am Landestheater Linz
Am 10.02.2024 feierte Die Königinnen von Thomas Zaufke (Musik) und Henry...

Junges Theater: Monologe für die Bühne und das Klassenzimmer
Im März stellen wir Monologe vor, die sich thematisch und formal sowohl für...

"Buddeln" von Clara Leinemann gewinnt Kinder- und Jugenddramatiker:innen Preis
Am 25.02.2024 wurden in Duisburg im Rahmen des Festivals "Kaas & Kappes" die...

"Wonderwomb" von Amir Gudarzi beim Festival Shakespeare is dead
Am 15.2. wurde Wonderwomb von Amir Gudarzi in niederländischer Übersetzung...

Rieke Süßkow beim Theatertreffen 2024
Mit ihrer Inszenierung von Werner Schwabs "Übergewicht unwichtig: unform" ist...


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Lutz Hübners Laudatio zum Kleist-Förderpreis 2009 für Ulrike Freisings "Straße zum Strand"

 

Der Galerist Alfred Schmela entdeckte für Deutschland Yves Klein und Jean Tinguely. Auch Beuys und Klapheck, damals noch unbekannte Künstler, stellte er zuerst aus. Auf die Frage, warum er sich für diese Künstler entschieden habe, pflegte er zu sagen: "Dat is jute Kunst." Ebenso würde ich diese Laudatio gerne auf den Satz beschränken: Ulrike Freising erhält den Kleistförderpreis 2009 für Straße zum Strand, weil dat ein jutes Theaterstück ist. Punkt.
Warum das so ist, wird eine Inszenierung des Stückes zeigen. Über Stücke zu sprechen ist mühsam, Theaterstücke gehören auf die Bühne und müssen dort ihre Wirkung entfalten. Man muss beim Lesen denken: Das will ich im Theater sehen. Sie müssen das Bedürfnis nach theatralischer Umsetzung erzeugen, nach Bildern, nach der Verkörperung durch Schauspieler, kurz, man will sie dort erzählt bekommen, wo sie hingehören, auf der Bühne.
So selbstverständlich diese Forderung klingt, so selten stellt sich dieser Hunger ein. Als Juror liest man viele Stücke, die gut geschrieben sind, deren Potenzial sich aber oft in der stillen Lektüre erschöpft. Man muss sie nicht auch noch auf dem Theater sehen, da die Bühne dem Stück nichts hinzufügen könnte. Andere Stücke sind wunderbare Vorlagen für szenische Lesungen, bieten aber zu wenig Futter, um als vollständige Inszenierung zu bestehen. Ein gutes Stück ist ein Versprechen, eine Verabredung, manchmal eine Drohung, eine Einladung aber in jedem Fall, und diese so formulieren zu können, dass der Eingeladene neugierig hingeht, ist ein Talent, das Ulrike Freising in hohem Maße besitzt.

Doch bevor ich weiter darüber spreche, was das Besondere dieses Textes ist, ein paar Worte zum Inhalt. Straße zum Strand erzählt die Geschichte zweier Familien, deren Schicksale durch einen Autounfall aneinandergekettet werden. Zwei Männer, einer alt, einer jung, finden sich nach dem Unfall in einem Zwischenreich wieder, ein Strand an der Grenze zwischen Leben und Tod, ihre Ehefrauen lernen sich an den Krankenbetten ihrer Männer kennen, in Rückblenden wird erzählt, welche kleinen Begebenheiten und Zufälle dazu geführt haben, dass dieser Unfall sich ereignen konnte.
Es ist ein Spiel der Möglichkeiten, auch wenn die Alternativen nie ausformuliert werden. Hätte der junge Mann nicht die Tochter des alten Mannes beim Trampen aufgelesen, wäre er nicht diese Strecke gefahren. Hätte der alte Mann nicht das Haus verlassen, um das verlorenen Messer seines Enkels zu suchen, wäre die Frau des jungen Mannes eine Minute früher mit der Nachricht ihrer Schwangerschaft ins Wohnzimmer gekommen, woraufhin er nie das Haus verlassen hätte ... wenn, wenn ... am Ende ist einer der Männer tot, der andere versucht in sein Leben zurück zu finden.

Das klingt nach Gedankenakrobatik, ist aber im Resultat eine melancholische, humorvolle Geschichte, der man die komplizierte Konstruktion nicht anmerkt, da sie mit beachtlichem dramaturgischen Gespür und federleichten Dialogen geschrieben ist. Menschen, die an der Schwelle des Todes über ihr Leben nachdenken, der Gedanke der Vergebung, ein Leben beginnt, ein anderes endet, Reflexionen über das Zusammenleben ... das sind wahrlich große Themen und das hätte grandios schief gehen können, zumal Ulrike Freising, diese Themen nicht ironisiert, überzeichnet oder dem Trash ausliefert. Doch es gelingt, weil sie mit großer Liebe zu ihren Figuren und ohne jede Scheu vor Emotionen erzählt. Straße zum Strand ist eine berührende Geschichte, ohne sentimental zu sein, vielmehr balanciert sie auf der Grenze zwischen Rührung und Sentimentalität, und sich auf diesen Drahtseilakt einzulassen zeugt von der Courage der Autorin.

Denn wie oft wird Theaterstücken aus Angst vor dem, was man altfränkisch Rührung nennen könnte, vorsorglich jedes emotionale Potenzial ausgetrieben. Bloß nicht als gefühlig gelten, bloß nicht offen legen, was einen so berührt oder beschäftigt, dass man zum Schreiben eines Stücks förmlich gezwungen war. Das führt dazu, dass viele Stücke nichts über den Autor, seine Weltsicht und seine Intentionen aussagen, sondern nur über seine Lektüreerfahrungen und Vorbilder.
Doch ein Kunstwerk, dass vorsorglich jedem Abgrund, jeder Gefahr des Scheiterns aus dem Weg geht, kann nicht funktionieren. Wer eine Ballade schreiben möchte, kann der Gefahr, beim Kuschelrock zu landen, nicht aus dem Weg gehen, ebenso wie die Wahrheit über eine Figur meistens in gefährlicher Nähe der Klischees zu finden ist und wem dieser Balanceakt gelingt, der schafft ein Werk, das Kopf und Herz gleichermaßen anspricht. Auch das ist eine Binsenweisheit, oder es sollte zumindest eine sein. Aber die Realität sieht leider oft anders aus.

Das Erzählen einfacher Geschichten ist auf dem Theater eigenartigerweise oft verpönt, wobei ich 'einfach' durchaus positiv meine. Kein Krautrock für Kesselpauke und Diskurspfeifen, sondern eine Geschichte, die den Zuschauer direkt anspricht und etwas mit seinem Alltag oder unmittelbar mit seinen Hoffnungen und Ängsten zu tun hat. Die es ihm ermöglicht, über die Bedingungen seines Lebens nachzudenken oder in seinen fest gefügten Meinungen erschüttert zu werden. Eine Geschichte, die von Schauspielern erzählt wird, ohne Anmerkungsapparat und Metadiskursebene und verständlich ist auch ohne genauere Kenntnis des 'state of the art' der Theaterkunst. Schauspieler lieben solche Geschichten, das Publikum ebenso. Nur bei der Fraktion der haupt- und nebenberuflichen Gralswächter der Theaterkunst hat die einfache Geschichte, wenn wir bei diesem Begriff bleiben wollen, einen hautgout. Handwerk gilt automatisch als Kunstgewerbe, Emotion als Kitsch und eine transparente, nachvollziehbare Dramaturgie kann da nur konventionell sein. Die permanente Forderung nach dem völlig neuen, alle Tabus und Formen sprengendem Drama nimmt zuweilen hysterische Züge an und wirkt zudem langsam selbst etwas verstaubt.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich muss das Theater sich immer wieder neu erfinden und in Frage stellen. Anstrengend an dieser Haltung ist nur die Ausschließlichkeit, in der das jeweils Neue zum Maßstab für alles andere erhoben wird. Kein Mensch käme auf die Idee zu sagen, dass man keine Rocksongs oder Filmkomödien mehr produzieren solle, weil das alte und überlebte Formen seien. Die verschiedenen Ausdrucksformen von Filmkunst und Musik gedeihen in friedlicher Koexistenz, nur im Theater wird man zuweilen fassungslos gefragt, wie man denn noch auf die reaktionäre Idee kommen könne, Dialoge zu schreiben, oder Geschichten, die einen Anfang und ein Ende haben.
Das Diktum, wie neue Dramatik auszusehen habe und die Härte, mit der alles aussortiert wird, was nicht den gerade angesagten Richtungen entspricht, könnte im schlimmsten Fall zu einer Situation führen, die Karl Kraus einmal so beschrieb: Das Niveau ist hoch, aber keiner ist drauf.

Zum Glück ist das Theater eine behäbige alte Tante, die sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt und nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, unter anderem durch die schlichte Tatsache, dass man für jedes Stück ein Publikum braucht. Die Wahrheit ist aufm Platz und da kann das Theater nur bestehen, wenn es eine breite Palette von Geschichten und viele verschiedene Erzählweisen anbieten kann, sich unserer Realität anzunähern. Das klingt wie das Gemaule eines Autoren über das Feuilleton. Das ist es natürlich auch. Es soll aber auch als Appell verstanden werden, die Vielfalt des Theaters zu berücksichtigen und offen zu bleiben für alle Möglichkeiten, Geschichten auf die Bühne zu bringen.
Ebenso wichtig ist es, neue Dramatik auch über die Uraufführung hinaus zu begleiten und zu beachten. Etwas weniger Superstars for fifteen minutes, etwas mehr Wille zur Kontinuität. Die hysterische Fixierung auf die Uraufführung verengt Autorenkarrieren an ihrem Beginn oft auf eine Top oder Flop Situation und wer da die Nerven verliert oder schlicht Pech mit seinem Regisseur oder der Chartposition seines Theaters hatte, bekommt selten die Chance, in einem anderen Kontext noch einmal ins Rennen zu gehen. Die Chance, Fehler zu machen oder an der praktischen Auseinandersetzung mit dem Betrieb weiter zu wachsen sind da sehr begrenzt, obwohl anders die Entwicklung eines Talents kaum möglich ist. Zuweilen wünscht man sich Theater, die sich auf Zweit- oder Drittinszenierungen spezialisieren, begleitet von Kritikern, die auch berücksichtigen, wie die neuen Stücke in Repertoirevorstellungen und Nachinszenierungen angenommen werden. Kurz gesagt, ein größeres Verständnis dafür, dass es um Autoren geht, nicht um Gladiatoren. Aber das ist schon einen Schritt zu weit über den heutigen Anlass hinaus gedacht. Was wir heute Abend feiern und beloben wollen, ist ein Stück, dessen Uraufführung noch aussteht, und das, wenn ich mir diese Prognose erlauben darf, an bestimmt mehr als einem Theater zu sehen sein wird.

Dazu noch eine kleine Faustregel aus der eigenen Praxis: Wenn die Schauspieler bei der Leseprobe ein Stück mögen, ist das schon fast eine Prognose, was die spätere Publikumsreaktion betrifft. Wenn aber die Bühnentechniker in den Endproben ein Stück mögen, hat man praktisch schon gewonnen. Wenn man fragt, warum sie das mögen, ist es gut möglich, dass man gesagt bekommt: Weil dat ein jutes Stück ist.

In diesem Sinne, liebe Ulrike Freising,
herzlichen Glückwunsch,
auch im Namen der Jury des Kleistpreises
und toi toi toi

Lutz Hübner, 13.10.2009

15.10.2009

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Straße zum Strand

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Freising, Ulrike