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Bei Manesse

von Herbert Meier
Ein Stück

7D, 5H, Nebendarsteller

UA: 1989, Tiyatro Andalu, Ankara
frei zur DSE
UA in türkischer Sprache, Neufassung 1992

Sibel hat einen Teil ihrer Kindheit mit ihrem Vater, einem türkischen Archäologen, in Berlin verbracht und Jochen Orell, einen Rechtsanwalt, geheiratet. Ihre Kinder wachsen in seiner, einer westeuropäischen Stadt auf. Ihr Mann arbeitet in einem Bankhaus, bei Manesse. Sibel aber hat zwei Seelen in sich: eine anatolische und eine europäische.

Im Augenblick jedoch, als ihr Mann, den sie bedingungslos liebt, sie mit der Tochter Manesses betrügt – und hier beginnt das Stück – bricht in ihr mit ganzer Gewalt die Anatolierin durch. Auf einem Empfang, wo die Vertragsabschlüsse für die Finanzierung eines Staudammes in Anatolien gefeiert werden, rebelliert sie. Ihre radikale Liebe, die das Ausschließliche will, wendet sich gegen die Verderbtheit einer Gesellschaft, die dem Mythos des Wohlstandes verhaftet ist. Sibel ist bereit, bis zum Äußersten zu gehen und ihrem Mann das Geliebteste zu nehmen, das beide haben: ihre Kinder. Ihr Gleichgewicht und damit das zwischen der Welt der Tradition und des magischen Aberglaubens, des Fortschritts und der Toleranz ist zerstört, nicht zum Heil der Gesellschaft und nicht zu ihrem eigenen.

Herbert Meier hat in seinem Kammerspiel eine Medeafigur der modernen Gesellschaft geschaffen. Geschrieben in freien Versen ist Bei Manesse ein Stück über das Fremde und das Eigene, das nicht zuletzt durch die Einfachheit seiner Form und die Unergründlichkeit seines Humanismus besticht und gerade deshalb in seiner Aussage aktueller ist denn je.